Ein Blick auf die Musikbranche

Die Musikbranche ist nicht immer lustig, aber sehr spannend. Es gibt vielerlei Faktoren, die den Markt und damit auch unser Festival beeinflussen. Unser Blick hinter die Kulissen.

Dies vorweg: Die Coronakrise hat den Festivalsommer 2020 grösstenteils vereitelt und reisst noch immer grosse Löcher in das musikalische Angebot und in die Kassen von Kulturschaffenden und -veranstaltenden. Die Gründe sind bekannt, weshalb wir an dieser Stelle nicht ausführlich darauf eingehen werden. Nachfolgend geben wir einen generellen Einblick in die Entwicklungen in der Musik- und Festivalbranche.

GAGENENTWICKLUNGEN
Anhaltend zuoberst auf dem Veranstaltungs-Sorgenbarometer stehen die explodierenden Bandgagen. Unsere Einschätzung dazu: Die sogenannten Cash Cows, die grossen und seit Jahren etablierten Bands, haben ihren Gagenzenit erreicht, fordern diesen aber Jahr für Jahr auch unabhängig von der Exklusivität ein. Neuere grosse Bands, deren Wachstum noch nicht voll ausgeschöpft zu sein scheint, verteuern sich nach wie vor überproportional. Darum setzen auch grössere Festivals verstärkt auf ein «breites Mittelfeld» statt den einen, teuren Headliner. Klar ist: Eine nachhaltige Positionierung über grosse Namen ist mit unserem Budget und unserer Kapazität nicht mehr möglich. Erschwerend kommt hinzu, dass auch bei den Bands, die gerade erst auf dem Sprung zur grossen Bekanntheit sind, eine ökonomisch nicht rational begründbare Verteuerung feststellbar ist. Ihre Ansprüche verdoppeln sich im Vergleich zu vor drei, vier Jahren nahezu. Für uns bedeutet das, dass wir auch im kostenlosen Programm vermehrt bewusste Akzente setzen müssen.

DIGITALISIERUNG
Der Schweizer Branchenverband SMPA bestätigt, dass der Konzertmarkt auf hohem Niveau stagniert. In den letzten zehn Jahren stieg der Umsatz im Schweizer Markt kontinuierlich um fast die Hälfte an. Halbiert haben sich in dieser Zeit die Einnahmen mit CDs, Downloads und Schallplatten. Vor gut fünf Jahren wurde hier immerhin der freie Fall gebremst – dank guten Streaming-Zahlen. Kleiner Exkurs: 2018 wurde in Deutschland erstmals mit Streaming mehr Geld eingenommen als durch den Verkauf von CDs. Aber: Noch immer kommt man damit nicht weit. watson hat es vorgerechnet: 1’000 Streams auf Spotify bringen rund 4 Franken ein, davon können die Künstler*innen im Normalfall etwa 50 Prozent behalten. Sophie Hunger oder Lo & Leduc kamen im Juli 2020 so auf rund CHF 2’200.–, Züri West und Stress auf weniger als CHF 500.–. Man kann sich vorstellen, dass es bei weniger grossen Acts nur ein Bruchteil ist – und man sich deshalb auf Konzertgagen als Haupteinnahmequelle konzentrieren muss.

GROSSE PLAYER AUF EINKAUFSTOUR
Nach dem Aufkauf des Openair Frauenfeld 2017 hat der US-Riese Live Nation Anfang 2019 die Schweizer Konzertagentur Mainland übernommen. Mainland bucht die internationalen Bands für u. a. das Open Air Gampel und tritt selber (ähnlich wie Gadget und JustBecause) vermehrt als Veranstalterin von grösseren Shows auf – unter anderem in der Samsung Hall. Die Musikbranche hat kritisch auf den Zusammenschluss reagiert, das Showcase-Festival M4Music etwa hat die Booking-Zusammenarbeit mit Mainland beendet. Dieser Effekt dürfte sich verstärken: Anfang 2020 hat der saudische Staatsfonds PIF unter der Führung des umstrittenen Kronprinzen Mohammed bin Salman eine halbe Milliarde Dollar in Live Nation investiert.

Auch andere internationale Branchenriesen waren auf Einkaufstour. CTS Eventim, welche bereits 50 Prozent an Ticketcorner hielt, hat im Januar 2020 Mehrheitsanteile an Gadget (die grösste Schweizer Konzertagentur), abc Production (Marktführer) und wepromote (ein Dachverband mehrerer Festivals und Agenturen) erworben. Sie erweitert damit das unternehmenseigene Portfolio um zusätzliche 400-500 Konzerte pro Jahr sowie diverse Festivals, darunter das Openair St. Gallen. Der Aufschrei in der Branche war gross, wurde so doch ein Grossteil des Schweizer Konzertmarkts an einen deutschen Megakonzern verkauft – siehe dazu den Kommentar in der WOZ. Starticket wiederum, die zweitgrösste Schweizer Ticketanbieterin, wurde vom britischen Ticketriesen See Tickets aufgekauft. Diese ist neu in neun Ländern aktiv und hat u. a. die Festivals Glastonbury und Tomorrowland im Angebot.

KONZERTKONZENTRATION
Die Doppelrolle der Agenturen verknappt das Angebot und reduziert die Exklusivität für Sommerfestivals merklich. Generell ist es gemäss unserer Booking-Abteilung fast unmöglich geworden, einen Act für die Musikfestwochen zu buchen, der nicht im Frühling oder Herbst auch in Zürich spielt. Die Übernahme von Mainland tangiert uns aktuell nicht entscheidend, da Live Nation abgesehen vom Openair Gampel noch kein Popkultur-Festival in der Schweiz veranstaltet und uns diesbezüglich praktisch keine Acts vorenthalten werden. Stärker spüren wir zum Beispiel die Dominanz des deutschen Riesen FKP Scorpio, der das Greenfield Festival veranstaltet. Wir haben praktisch keine Chance, eine Band zu buchen, die bereits beim Greenfield unterschrieben hat. Dasselbe gilt für CTS Eventim und deren Festivals.

GENERELL: KOSTEN STEIGEN, WIR BLEIBEN
Die Kosten in der Festival- und Veranstaltungsbranche steigen also weiter. Gleichzeitig ist der Markt gesättigt, einige Festivals werden in den nächsten Jahren verschwinden. Wir wollen und werden nicht dazu gehören. Im Gegenteil: Wir wollen unsere Unabhängigkeit und Eigenständigkeit wahren, auch wenn unsere finanziellen Möglichkeiten im Gegensatz zu anderen Openairs keine grossen sind. Wir sind überzeugt, dass unsere Besucherinnen und Besucher in Zeiten von Monopolisierungen, Sponsoringflut sowie ökologischen und sozialen Herausforderungen als kritische Konsumentinnen und Beobachter Haltung einnehmen und sich überlegen werden, welche Festivals sie in Zukunft besuchen und unterstützen werden.

EXKURS: GENDER EQUALITY
International Schlagzeilen machte die Keychange-Initiative der britischen Musikförderungs-Plattform PRS Foundation. Das Ziel: bis 2022 bei möglichst vielen Festivals für ausgeglichene Geschlechterverhältnisse auf der Bühne zu sorgen. Unterschrieben haben rund 50 Festivals weltweit, darunter die Showcase-Festivals Reeperbahn (Hamburg) und Eurosonic (Noorderslag) und unsere Freund:innen vom B-Sides Festival. Auch wir investierten mehr Zeit, um uns zu verbessern. Gemäss Helvetiarockt (Koordinationsstelle für Musikerinnen) ist aktuell eine 30-Prozent-Quote realistisch, ohne Abstriche bei der Qualität zu machen. Wir landeten 2024 bei 52 Prozent Acts mit weiblicher Beteiligung (Definition: Instrumentalistin und/oder Hauptsängerin). Auch in Zukunft werden wir Geld und Zeit für dieses gesellschaftlich und uns persönlich wichtige Thema investieren.

 

Wir geben auf Anfrage gerne vertiefte Einblicke. Mehr Zahlen, Fakten und Gedanken zu den Musikfestwochen findest du in unserem Jahresbericht.